25. Aug. 2023 – SEHNSUCHTSORTE

DEUTSCHVILLA

SEHNSUCHTSORTE
25. August – 1. Oktober

 

Folglich ist der Mensch insoweit frei, als er die Kraft hat, gemäß der Wahl
oder Bestimmung des eigenen Geistes zu denken oder nicht zu denken,
sich zu bewegen oder nicht zu bewegen.

John Locke, 1689

Unser modernes Leben mag einzigartig sein im Hinblick auf die Zahl und das globale Ausmaß der Reisen. Wir sollten dabei aber nicht vergessen, dass Reisen keineswegs eine neue menschliche Erfindung ist. Mobilität ist die früheste prähistorische conditio humana. Die Sesshaftigkeit stellt eine sehr viel spätere historische Entwicklung dar. Zu Beginn der historischen Zeit streiften die Menschen herum wie wandernde Tiere. Die Geschichte der Zivilisation ist eine Geschichte von Ortsveränderungen, großen Wanderungen und neuer Sesshaftwerdung, von der Integration menschlicher Gruppen in eine bestimmte Umwelt, von der Schaffung eines Heimes. Wenn wir unsere Gegenwart verstehen wollen, müssen wir verstehen, das Mobilität immer eine auf Veränderung gerichtete Kraft war, die Persönlichkeiten, soziale und kulturelle Landschaften verändert und zur Herausbildung unserer globalen Zivilisation geführt hat.

Sesshaft wurde der Mensch vor circa elftausend Jahren, geblieben ist ihm der Impuls zum Nomadischen. Dafür gibt es viele Gründe, erzwungene, aber auch zweckfreie.

Erzwungene Abreisen, hin zu neuen Sehnsuchtsorten, waren im Verlauf der menschlichen Geschichte immer die Regel – es ist eine Geschichte von Kriegen und Vertreibungen, Migrationen und der Hoffnung auf neue Niederlassungen. Der Reisende wird nicht von eigenen Motiven getrieben, sondern von Notwendigkeit oder Zufall, von einer Katastrophe, einem Verbrechen, von einem Krieg. In den meisten Fällen handelt es sich um eine Reise ohne Wiederkehr und ist immer verbunden mit der Sehnsucht nach einem Ort der Sicherheit, der Einheit und der Beziehung zu anderen.

Zu sehen sein werden Fotos vom massenhaften Aufbruch tausender Italiener nach Amerika und Australien mit Schiffen aus Triest. Insgesamt waren es in hundert Jahren an die 25 Millionen Menschen, die aus Italien in eine verheißungsvolle Fremde aufbrachen.

Neben diesen erzwungenen gibt es die sogenannten zweckfreien, touristischen Reisen, bei denen wir der aus dem Alltag erwachsenden Stumpfheit des Geistes entkommen wollen, um wieder Klarheit und Kraft zu finden. Sehnsüchtig sind wir danach, der Zeit ein Schnippchen zu schlagen, das Leben langsamer vorüberziehen zu lassen und empfinden ganz richtig, dass Reisen den Lauf der Zeit zu bremsen vermag.

Über sogenannte zweckfreie Reisen hat schon Seneca (1-65 n.Chr.) geschrieben: „Infolgedessen unternimmt man Reisen ohne Ziel, eilt unstet von Küste zu Küste, versucht sich bald auf dem Meer, bald auf dem Land. Schon hat man vom Treiben der großen Welt genug. Unberührte Landstriche seien das Reiseziel. Das Land der Bruttier und die Wälder Lukaniens wollen wir kennenlernen. Tarent sei unser nächstes Ziel, sein vielgerühmter Hafen, seine Umgebung mit milderem Klima im Winter. Eine Reise löst die andere ab und ein Schauspiel folgt dem anderen.“

Das Schauspiel hat sich vielfach gewandelt. Heute, da Tourismus und seine Infrastruktur die Reinheit unbefleckter Landstriche verseuchen – was kann die angebliche Flucht einer Reise da anderes bedeuten, als uns mit den unglücklichsten Formen unserer historischen Existenz zu konfrontieren. Was uns die Reisen in erster Linie zeigen, ist der Schmutz, mit dem wir das Antlitz der Welt besudeln.

Elke Groen’s Vietnam-Film über eine vor dem Festland liegenden, mit einer Seilbahn verbundenen, Insel, mit dem perfekten Nachbau, der Kulisse einer romantischen italienischen Kleinstadt.
Der Hamburger Fotograf Achim Liebsch zeigt einige seiner Traumdestinationen

Der Aufbrüche waren es viele in der Geschichte, Orte zu finden, wo Gold zu schürfen, Silber, Gewürze zu ernten waren. Gierig fokussiert auf diese Sehnsuchtsorte, vernichtete man gnadenlos was sich einem in den Weg stellte.

Wir werden mit zig Exemplaren des Buches „Die Schatzinsel“ von Robert Louis Stevenson eine Insel bauen, die sich im Lauf der Zeit auflösen wird, weil die BesucherInnen gebeten werden, sich ein Exemplar der Schatzinsel mit nach Hause zu nehmen.

Sehnsuchtsorte können aber auch soziale Ideen sein. „Utopia“, der Roman des humanistischen Autors der Renaissance Thomas Morus, dachte schon damals, später kommunistisch genannte Ideen. Die Lebensbedingungen der Menschen dieser Zeit waren erschreckend. Hunger, Not, Krankheit, Ausbeutung waren die Regel. Ein Morus schien sich gesehnt zu haben nach einer Verbesserung der Lebenssituation dieser Menschen.

Sehnsuchtsort Musik.
Der herausragende Schlagzeuger Lukas Aichinger wird in der Ausstellung an seinem Sehnsuchtsort Schlagzeug aufspielen.

Jede Religion hat sich ihre Pilgerstätten geschaffen, an denen die Menschen Opfer darbringen und sich heilende Wunder erhoffen. Allein im Christentum gibt es zehntausende dieser Stätten, jährlich besucht von Millionen Pilgern.

Und sie tragen nach Hause, geweihte Devotionalien, Heiligenbilder, Madonnen, mit denen wir eine Andachtsecke gestalten werden.

Für andere wiederum ist Wasser Sehnsuchtsort, Inbegriff heilender Kraft, Spiegel der Seele, gewünschte Rückkehr in den schützenden Mutterleib.

Zu sehen die wunderbaren Gemälde mit Schwimmerinnen und dem Titel „Seesucht“ von Katrin Huber.

Ein Reisender muss sonderlich zusehen,
dass er in seinem Reisen sich nicht selbst mitnehme.
Mancher, spricht Seneca, kommt nicht besser heim,
als er ausgezogen.