Freitag 20. August 2021 – 20 Uhr
Ausstellungseröffnung
Von Geburt und Tod
Performance
„Footprints for new life“
von Davide Skerlj – Triest
Die Geburt
In frühen Zeiten rankten sich um die Geburt zahlreiche Mythen. Wundersame Geburten sind ein verbreitetes Motiv in der historischen Literatur und religiösen Texten. Geschichten solcher Geburten beinhalten oft eine Empfängnis durch mysteriöse oder wundersame Umstände und haben auch oft mit der Einmischung einer Gottheit oder übernatürlichen Elementen zu tun. Man denke nur an die rätselhafte Empfängnis der Jungfrau Maria mit Jesus Christus. Auch Siddharta Gautamas Mutter soll, nach zwanzig kinderlosen Jahren, schwanger geworden sein, nachdem sie geträumt hatte, dass ein weißer Elefant vom Himmel herab in ihren Körper fuhr. Ähnlich rätselhafte Mythen gibt es in vielen Kulturkreisen.
All diese Geschichten stammen aus einer Zeit in der eine große Anzahl Frauen während der Geburt starben, meist auf Grund von zu hohem Blutverlust oder im Wochenbett, oft auch aufgrund von Wundinfektionen infolge mangelnder Hygiene und schlechter Ernährung. Auch heute noch sterben in Entwicklungsländern eine halbe Million Frauen jährlich in der Schwangerschaft oder im Zusammenhang mit der Geburt. Die Müttersterblichkeit erreicht in Entwicklungsländern die 1-Prozent-Schwelle, die Kindersterblichkeit – um die Geburt – liegt oft höher als 5 Prozent. Zudem sind häufig die nächsten Krankenhäuser, die Hilfe wie zum Beispiel blutungsstillende Medikamente oder die Durchführung eines Kaiserschnitts anbieten, sehr weit entfernt oder für die Betroffenen ist der medizinische Eingriff unbezahlbar.
In unseren entwickelten Ländern geht die Geburt heute in Kliniken oder in Geburtshäusern unter Begleitung von Hebammen in einer individuellen und intimen Atmosphäre vor sich. Selbstverständlich ist dies erst seit wenigen Jahrzehnten.
Die Rolle der Hebammen
Über viele Jahrtausende waren Geburten reine Frauensache. Die Geburtshilfe lag in der Hand heilkundiger Frauen – der Berufsstand der Hebamme hat sich damit historisch schon sehr früh herausgebildet. Im Mittelalter begann die Kirche, die Tätigkeit der Hebammen in ihrem Sinn zu organisieren. Ab dem 13. Jahrhundert schworen Hebammen einen Eid, der sie zu einem christlichen Lebenswandel verpflichtete. Suspekt blieben sie der Kirche trotzdem – Hebammen fielen den Hexenverbrennungen der frühen Neuzeit besonders oft zum Opfer.
Angestellte Hebammen gibt es seit dem 16. Jahrhundert, rund 200 Jahre später wurden die ersten Entbindungskliniken gegründet. Damit verloren auch die Hebammen ihre einzigartige Rolle in der Geburtsbegleitung. Die Geburtshilfe wurde mehr und mehr zu einer ärztlichen – und damit zunächst männlichen Domäne.
Der Tod
Leben ist Sterben können.
Ist Versöhnung von Leben und Tod.
Für primitive Völker hatte der Tod immer eine äußere Ursache und also in gewissem Sinn einen beiläufigen Charakter. In diesen Gesellschaften war das Individuum wenig ausgeprägt. Die Person war geprägt durch seine Stellung in der Gruppe, seiner Funktion im größeren Organismus. Wenn diese Stellung und Funktion nach dem Tod des Individuums auf ein anderes übergingen, so erwarb dieses Individuum zugleich den Namen und gewissermaßen die Seele des Toten. Die Gruppe hatte ein verlorenes Glied regeneriert. Es war, als ob nichts geschehen wäre. Die Menschen erschienen und vergingen, wie das klassische Bild es sagt, gleich den Blättern der Bäume. Der Tod war nur der Übergang einer seelischen Kraft in ein anderes Individuum.
In späteren gesellschaftliche Entwicklungen, in der Spätantike sowie in der mittelalterlichen Gemeinschaft sehen wir eine äußerst individualisierte Menschheit vor uns, die gepeinigt ist durch die Drohung des Todes. Es kam zu angstvollen Ausbrüchen von Panik, beherrscht vom Wunsche des Individuums, sich in der Stunde seines Todes gerechtfertigt zu wissen. Totentänze und grausame realistische Darstellung des toten Christus am Kreuze oder im Grabe waren die Folge.
Heute spricht man immer weniger von den Toten, man fasst sich kurz, man schweigt. Schluss mit dem feierlichen und umständlichen Tod in der Familie: man stirbt im Krankenhaus. Der Sterbende verliert seine Rechte, insbesondere das, zu wissen, dass er sterben wird. Der Tod ist obszön und peinlich – und auch die Trauer wird es: es gehört zum guten Ton, sie zu verstecken: sie könnte die anderen in ihrem Wohlbefinden stören. Die Einäscherung ist die letzte Stufe dieser diskreten Liquidierung und dieses minimalen Überbleibsels.
Wir haben keine Erfahrung vom Tode anderer mehr. Das Erlebnis des Todes im Schauspiel oder im Fernsehen hat damit nichts zu tun. Die meisten haben nicht einmal mehr die Gelegenheit, jemanden sterben zu sehen. Man wird vom Krankenhaus und von der Medizin versorgt. Der Mensch verschwindet von seinen Verwanden, bevor er tot ist. Eben darum stirbt er.
Der Tod, indem er ausgelaugt, ausgetrocknet, weggefegt, verneint und verdammt wird, geht in alle Dinge des Lebens über. Unsere ganze Kultur ist hygienisch: sie beabsichtigt, dem Leben den Tod auszutreiben. Er wird um jeden Preis sterilisiert, desinfiziert, eingefroren, klimatisiert, hergerichtet, geschminkt und frisiert. Es wird ihm ein Design verpasst und er wird mit der gleichen Erbitterung verfolgt wie der Dreck und der bakteriologische oder radioaktive Müll.
Priester und letzte Ölung waren noch ein Überbleibsel der Gemeinschaftlichkeit des Sprechens über den Tod. Heute haben wir ein black-out. Heute wird diese Funktion durch die Medizin erfüllt, die jeden am Sprechen hindert, indem sie ihn mit Pflege und Betreuung überhäuft.
Es scheint fatal zu sein, dass sich der Mensch mit viel Bemühen aus dem ganzen Naturreich herausgenommen hat, zum individuellen Einzelwesen wurde, der die Kontinuität verloren hat. Das Tier bedarf nicht der Kontinuität, weil es sie hat, weil es in ihr lebt wie die Welle unter den Wellen. Ähnlich der Pflanze, die alle Pflanzen in sich versammelt, oder dem Stein, der alle Steine umschließt.
Der Mensch steht vor der grossen Aufgabe, sich mit dem ganzen Naturreich wieder zu versöhnen. Sollte die Versöhnung allerdings nicht klappen, weil die Selbstentfremdung des Menschen einen Grad der Unumkehrbarkeit erreicht hat, dann wird er die eigene Vernichtung als ästhetischen Genuss ersten Ranges erleben können. Dann ist das Letzte Gericht bereits realisiert. Das Schauspiel wird, muss man sagen, großartig sein. Die Museen, die diese Zivilisation überleben sollen, sind bereits vorhanden – um zu bezeugen … was? Unwichtig. Allein die Tatsache ihrer Existenz bezeugt, dass wir in einer Kultur leben, die keinen Sinn mehr für sich selber hat und die nur noch davon träumen kann, später einen Sinn für irgendjemand anderes zu bekommen.
Ferdinand Götz
Basierend auf Texten von:
Jean Baudrillard, Walter Benjamin, Paul Ludwig Landsberg
Zur Ausstellung Beiträge von:
Gerhard Brandl: Porträts im Mittelmeer ertrunkener
Astrid Esslinger: Mut
Caterina Gerardi: La Citta Ultima
Ferdinand Götz: Friedhöfe weltweit
Ursula Hentschläger: Punktlandung
Karl Hartwig Kaltner: Barocke Mumie
Kachina Puppe der Hopi Indianer: Ahnengeister
Peter Karger: Live-Schädel-Portraits von Lebenden
Anna Kohlweis: Comix – Zine against Death
Jaqueline Korber: Schlachthaus Impressionen
Uli Loskot: mexikanischer Allerheiligen Tempel
Elisabeth Peterlik: Das Tier in mir
Bernd Püribauer: Nachgeburt
Jose Guadalupe Posada: La Catrina
Sonja Reiter-Gaisberger: Wachsendes Leben
Soshana: Franz Werfel auf seinem Totenbett, Los Angeles 1945
Barbara Ritterbusch Nauwerck: Todes Tänze – über das Verhältnis Mensch – Konsum – Tod
Alan Schacher: Share my coffin
Qing Yue: Hängende Särge/Philippinen – Tote Häuser Beiruts
Davide Skerlj: Hangmens beautiful skull
Wolfgang Stadler: Nepal – Leichenverbrennung im Hinduismus
Karla Woess: Hände
Performance
Davide Skerlj: Footprints for new life
Peter Karger: Schädelporträts
Konzert
Bläserensemble der Ortsmusikkapelle Strobl
Squalloscope Elektropop